Ⅺ : KuAk │ 1 · Sturmkratzer
Da war es, das geflügelte Pferd.
Wenn auch nur als kleine, silberne Kühlerfigur auf dem Fahrzeug, das beim Abkühlen langsam sein rotes Schmiedeglühen verlor.
Genauso vorsichtig, als könne er sich noch daran verbrennen, überzeugte sich Azur mit ausgestreckten Handflächen von dessen tatsächlicher Existenz. Es war wirklich da. Ein rot-weißes, flaches, stromlinienförmiges Geschoss, das seinen erstaunten Neubesitzer an eines dieser Hochgeschwindigkeitsfahrzeuge erinnerte, die in irgendwelchen Salzwüsten Geschwindigkeitsrekorde knapp über der Schallgrenze aufstellten. Nur etwas kleiner.
»Wow. Das nenne ich mal aerodynamisch.« Er strich mit beiden Händen über den Rand der Glaskuppel, bis er die kaum auszumachende Verriegelung fand und sich das Cockpit surrend öffnete.
»Cool! Ich sitz vorne!«, schrie Neko. Die gut durchgeschüttelte Katze vor der Brust, hüpfte sie enthusiastisch auf und ab.
»Wird wohl kaum anders gehen, ... ist ein Einsitzer.«
»Ich bin noch nie Auto gefahren. Is das lustig?«
»Kann eher unlustig werden. Ich bin bisher nur mal mit Papas altem Auto ein paar Runden auf dem Parkplatz gedreht. Ich hab keinen blassen Schimmer, wie ...« Er quetschte die Rucksäcke hinter den Sitz und schlüpfte dann gekonnt hinter das von Tasten übersäte Lenkrad, peinlichst darauf bedacht, keine Kratzer in den Hochglanzlack zu machen. »Sieht aus wie in einem Formel-Eins-Wagen.«
Neko sprang weniger achtsam auf seinen Schoß und verschaffte sich mit ihrem Hinterteil frech etwas Platz zwischen seinen Beinen. »Philia is da. Kann losgehen, Sir.«
Azur schloss die Kuppel. »Ganz schön eng. Kannst du dich etwas zur Seite lehnen? Leg dein Kopf einfach an meine Schulter, sonst sehe ich nichts.«
»So?«
»Ja, das geht. Jetzt muss ich nur noch rausfinden, wie ich die Kiste anbekomme. Vielleicht ...«
»Vielleicht den Knopf da! – Oder den! – Oder den!« Neko erforschte einen Knopf nach dem anderen in ihrer Reichweite.
»Hör auf damit, Mädel! Du erwischst noch ausversehen die Selbstzerstörung oder so.«
Urplötzlich blinkten sämtliche LED-Anzeigen hell-weiß auf.
»SELBSTZERSTÖRUNG INITIIERT. TIMER EINSTELLEN.«
»Kiro, das Auto spricht!«
»Danke, das hör ich auch. Ähm... Selbstzerstörung deaktivieren!«
»SELBSTZERSTÖRUNGSBEFEHL ANNULIERT«, teilte die Stimme mit beunruhigend enttäuschtem Unterton mit.
»WILLKOMMEN AN BORD. ICH BIN PEGASUS. SIE HABEN ÜBERGEWICHT.«
»Kiro, das Ding sagt, dass du fett bist. Böses Ding!« Azur konnte sie gerade noch davon abhalten, mit der Faust auf die Knöpfe einzuschlagen.
»Neko, er meint dich.«
»Neko is fett? Wenn sie das hört ...!« Ihre Faust erhob sich erneut.
»Nein, so war das nicht gemeint. Wir sind zusammen vielleicht zu schwer, meine ich.« Neko schnaubte besänftigt durch und ließ die Faust wieder sinken. Azur kommunizierte mit dem Gefährt. »Pegasus? Ist das Übergewicht relevant?«
»SYSTEME NEU JUSTIERT. NUR LEICHTE AUSWIRKUNGEN AUF TRÄGHEITSMODULE ZU ERWARTEN. PEGASUS BEREIT. TRIEBWERKE GESTARTET.« Das leichte Pfeifen einer Turbine war zu vernehmen. »GEBEN SIE EIN ZIEL AN.«
»Zu Kiros Bruder! Und zwar schnell! Weißt du, wir müssen nämlich ...«
»Neko, so funktioniert das nicht. Lass das lieber einen Fachmann machen.« Den Ellenbogenstoß in seine Rippen nahm er verdient hin. »Kunstakademie ...«
»WÄHLEN SIE AUS FOLGENDER LISTE.«
Im Head-up-Display der Scheibe wählte Azur die richtige Adresse.
»NAVIGATION BEREIT. MODUS: URBAN – MANUELL, AKTIV.«
Der ungeübte Fahrer nahm mit einem mulmigen Gefühl das Steuer in die Hand. Als er sich das vierte Mal aller Anzeigen und der beiden Pedale vergewissert hatte, ging es los.
Bereits als sie die Sackgasse der Archive verließen, hatte Azur ein so sicheres Gefühl, als hätte er noch nie etwas anderes getan. Seine Intuition hatte in den letzten Tagen immer mehr die Kontrolle in ihm übernommen. »Halt deinen Brösel bitte gut fest, Neko. Wir fahren jetzt schneller, ja?«
»Der heißt Krume, du Knalltüte! Kru-me! So wie Krümel. Krümel von Kekskrümel. Aber nich kleine Krümel, sondern größer. Nur nich zu groß. Halt eher mittel-groß-kleine Krümel, eher Krumen. Deswegen Krume! Kapierst du? – Haben wir eigentlich Kekse mit? Philia hat hunger!«
»Gut, ich merk's mir. Und jetzt muss ich mich konzentrieren, ja?
Kekse sind in meinem Rucksack. Musst du mal wühlen ... ähm, Philia.
Und hör bitte auf, in der dritten Person von dir zu reden. Das macht mich ganz irre.«
Als der Pegasus auf die Hauptstraße einbog, wurde der, für einen Mittwochnachmittag ziemlich verkehrsarme, Asphalt von einem gleißenden Blitz erleuchtet. Der einsetzende Platzregen und das unheilvolle Donnergrollen, das darauf folgte, verschlangen jedes Geräusch von draußen. Nur das gleichmäßige Surren des Triebwerks konnte er noch vernehmen. Und das rhythmische Knabbern von Schokoplätzchen in seinem rechten Ohr, bevor auch das, wenige Minuten später, mit einem geflüsterten »Philia müde« verstummte.
* * *
Fünfzehn Minuten später, als sie die Auffahrt zur Autobahn erreichten, meldete sich die Stimme Pegasus' wieder:
»SIEDLUNGSGEBIET VERLASSEN. BEREIT FÜR VOLLE
TRANS-METROPOLE ANTRIEBSLEISTUNG. ERWARTE BESTÄTIGUNG.«
Der konzentrierte Fahrzeugführer, der bereits der Überschreitung der „100" auf der digitalen Anzeige mit gemischten Gefühlen entgegensah, brauchte einige Sekunden, um sich zu einer Antwort durchzuringen. – Entscheidende Sekunden zu lang. – Die im Halbschlaf zwischen die Krümel auf seiner Schulter sabbernde Träumerin entschied sich an seiner Stelle unbewusst zu antworten: »... oki ... Tanz-Mopole ... Meropoe Antieb ... okay ...« Scheinbar reichte das der K.I. des Fahrzeugs.
»BESTÄTIGT.«
Kaum war die Kurve genommen, drückte es die Insassen in die Sitzschale. Das hämmernde Herz, das jetzt auch die Kurzzeitschlafmütze weckte, fokussierte starr die Geschwindigkeitsanzeige. Während der unaufhörliche Regen durch die Beschleunigung immer lauter und dichter wurde, kletterte die Anzeige unaufhaltsam immer höher. Bei Überschreitung der „300" war das Flammenkind wieder bei Bewusstsein. Gleiches drohte Azur jedoch langsam zu verlieren. „400". Die Erwachte rieb sich unbekümmert die Augen. »Sind wir schon da ...?«
„445".
»Stopp! Halt! Bremsen! Beenden! Anhalten ...« Verkrampft in das Lenkrad gekrallt wurde er von Pegasus fast schon spöttisch unterbrochen.
»VERWEIGERT. BESCHLEUNIGUNGSVORGANG KANN NICHT ABGEBROCHEN WERDEN. TRIEBWERK IM AUTOMATIK-MODUS.«
»Willst du mich verarschen? Wenn die Strecke nicht menschenleer wäre, hätten wir längst einen Unfall!«
»Was ist los, Herr Azur? Versagensängste? Kannst du überhaupt etwas richtig machen?«
»Was zur ...« Die ungewohnt tiefe Stimme und der ernste Gesichtsausdruck seiner erwachten Mitfahrerin ließen seinen erhöhten Adrenalinpegel noch einmal sprunghaft ansteigen.
»STRECKENSENSOREN FUNKTIONIEREN EINWANDFREI. KEINE HINDERNISSE ERKANNT. MAXIMALE URBANE GESCHWINDIGKEIT ERREICHT. FÜNFHUNDERT KILOMETER PRO STUNDE.«
»Verdammt. Wie Bremse ich? Philia, was soll ich machen?«
»Zuerst mal, halt die Klappe, Sterblicher. Mach dir nicht ins Hemd! Philia schläft. Philia ist bei Serva.«
»Ich ... Wer...? Hör auf mit dem Scheiß, ja?! Wir heben gleich ab. Ich hab echt keine Lust in dieser Kiste zu ...«
»ABHEBEN. BEFEHL BESTÄTIGEN.«
»Nein, verdammt! Anhalten, hab ich gesagt!«
»Widerrufen! Abheben bestätigt!«, widersprach die Stimme aus dem Flammenkind.
»BESTÄTIGT. MODUS: SUB-STRATOSPHÄRE – MANUELL, AKTIV.«
»Sei nicht so ein armseliger Wurm! Was meinst du, warum dieses Transportmittel nicht Eselskarren, sondern Pegasus heißt?!«
Azur hatte für den Moment seine Stimme verloren.
Die Cockpitanzeigen wechselten in ein leuchtendes Grün, das Summen von etlichen Servomotoren transformierte die meisten Teile um die Passagierkapsel herum in kurz rot aufglühende Tragflächen, die Nase des Gefährts hob sich und die Geschwindigkeitsanzeige raste erneut in für Azur unbekannte Sphären. „650", „750", „850".
Keine Fahrbahn mehr zu sehen. Das erdrückende, schmutzige Grüngelb des Himmels kam immer näher. Ein naher Blitz beleuchtete krachend das Innere der engen Kabine und die dunkelroten Augen, die sich in der Scheibe spiegelten.
»Wa-was ist mit dir? Wer bist du?«, fand er seine Stimme wieder.
»Mit mir? Mit mir ist alles so, wie es sein sollte, mein Lieber. Warum so nervös?« Ein unbekanntes Halblächeln wurde durch den nächsten Blitz sichtbar, dann drehte sich die Stimme zu ihm um.
»Ich bin es ... deine Neko ... Bisher hatte ich nicht den Eindruck, dass du dich vor mir gefürchtet hast. Im Gegenteil ... du liebst mich doch, oder?«
»Aber ... das bist nicht du. Ich meine, sie – Neko. Du ... du bist doch die ganze Zeit schon ...«
»Wer! Neko?« Ein befremdliches Lachen ließ ihre weißen Eckzähnchen im Wetterleuchten funkeln. »Dieser Körper? Sie hat dir doch gesagt, dass er Serva gehört! Die Arme, der du verschworen bist, der du verpflichtet bist, der du helfen wirst. Ist es nicht so?«
Sie legte ihre Hand auf seine Wange. Ihr Gesicht kam seinem immer näher. Als er jedoch zurückweichen wollte, packte sie sein Kinn und zwang ihn, sie weiter anzusehen. » ›Ist es nicht so?‹, habe ich dich gefragt, Kleiner!«
»Ja, ... ich habe es ihr versprochen.«
»Na, siehst du? War doch nicht so schwer. Nächstes Mal antwortest du mir gleich! Ich hasse es, warten zu müssen. Fast so sehr wie Widerworte ... oder nicht eingehaltene Versprechen! Haben wir uns verstanden, du Mensch?!«
Azur nickte rasch.
»Gut so.« Sie tätschelte ihm die Wange. Dann drehte sie sich wieder nach vorne und drückte mehrere Knöpfe.
»MODUS: SUB-STRATOSPHÄRE – AUTOPILOT, AKTIV.«
»So, mein Hübscher, jetzt kannst du dich entspannt zurücklehnen. In einer knappen halben Stunde haben wir unser Ziel erreicht. Dann wird sich zeigen, ob du es wert warst oder ob ich nur meine wertvolle Zeit mit dir verschwendet habe.« Seelenruhig legte sie ihren Kopf wieder an seinen Hals.
Azur schwieg. Er konnte sich keinen Reim darauf machen.
»Was passiert mit ihr? Oder mit ... ihnen?« Sein verwirrter Blick kreuzte den missmutigen von Krume, der sich im Fußraum zusammengerollt hatte und ihn mit großen, besserwisserischen Augen anglotzte.
»Ja. Du weißt natürlich, was ich tun soll, Katze. Sag's mir doch!«
Als hätten sie ihn telepathisch verstanden, blinzelten ihm die Katzenaugen zu. Erst schlossen sie sich langsam, dann glänzten sie Neko an und schließlich fixierten sie den kleinen Hebel unter dem Lenkrad. Azurs Katze–Mensch-Übersetzer ratterte auf Hochtouren.
»Sie soll schlafen? Was macht der Hebel? Wehe, das ist der Schleudersitz, Mieze!« Sein Bauchgefühl, das Krume vertraute, lieferte sich einen kurzen Clinch mit seinem Verstand, der sich auf „Schleudersitz" und „Missinterpretation einer Katze" festgelegt hatte. Die Gabe des dritten Auges, mittels Imagination auf weißem Gedankenpapier, schlichtete zwischen beiden.
„Vertraue den grauen Wanderern", hieß die Botschaft.
Bevor sich der Schlichter über seine eigene Entscheidung bewusst wurde, tastete sich seine Hand bereits unauffällig zum Hebel herab.
Die nächste Kaskade von scheppernden Blitzen ließ Azurs Körper zusammenzucken und ihn im Reflex den Hebel ziehen.
Augenblicklich begannen einige Armaturen hektisch gelb zu blinken.
Die Maschine sackte ruckartig nach vorne ab und Neko schlug mit der Stirn gegen das Steuer. – Sie schlief. Soweit, so gut. – Doch Pegasus meldete alarmiert: »GEFAHR! NOTFALL-SINKFLUG EINGELEITET. AUTOPILOT DEAKTIVIERT!« Das Cockpit wurde brutal durchgeschüttelt, als das Fluggerät im Sturzflug zu trudeln begann. Azur griff panisch nach dem Lenkrad und riss es in die Gegenrichtung. Nekos Kopf schleuderte herum und brach ihm die Nase das zweite Mal an diesem Tag. Dass die flackernden Kontrollanzeigen sich von gelb zu orange veränderten, bekam der Pilot schon nicht mehr mit. Die Maschine drehte sich unkontrolliert um ihre Längs-Achse, verlor schnell an Höhe und verschwand in den tobenden Unwetterwolken unter ihnen. Pegasus begann ungerührt und ungehört die Bewusstlosen anzuzählen.
»HÖHE: 6000 – HÖHE: 5000 – HÖHE: 4000 ...«
* * *
Der Boden war von winzigen Trümmerteilen übersät.
Sturmböen und fast waagerechter Starkregen peitschten Metall und Glassplitter über den düsteren, leeren Parkplatz.
Vom zerfetzten Pförtnerhäuschen war nicht viel übrig geblieben.
Mitten in dessen Überresten steckte funkensprühend der lädierte, flügellose Pegasus, der sich einen guten Meter tief in den Schotter gegraben hatte.
Azurs Augen öffneten sich kurz, erkannten die zersplitterte Cockpitkuppel und ein tief zerkratztes Lenkrad, dann fielen sie wieder zu. – Noch einmal öffnete er sie unter Schmerzen, erkannte, dass er ganz alleine war, der Innenraum schnell von Wassermassen geflutet wurde und er sich nicht bewegen konnte, dann driftete er erneut in die kalte, nasse Dunkelheit.
* * *
»... warnen weiterhin vor ergiebigem Starkregen ... global ... schwersten Unwetter seit Beginn der Wetteraufzeichnung ... Flughäfen haben ihren Betrieb ... gesamten Sendegebiet ... Katastrophenschutz ... halten sie ... neusten Stand ...« Die Stimme aus dem verstaubten kleinen Radio wurde immer wieder unterbrochen von Rauschen. Rauschen und knisternden Blitzen. Blitze, die Azur auch durch die geschlossenen Augenlider wahrnahm. Blitze ohne Donner.
Der erste bewusste Atemzug sog den Geruch von Staub, Metall und brennender Elektrizität in seine Nase. Tabakrauch und Terpentindämpfe durchströmten seine Lunge. Jeder Muskel schmerzte. Er konnte sich kaum bewegen.
Mit einem geöffneten Auge blinzelte Azur in die drei unterschiedlich weißen Neonröhren über sich. Sofort verzog er das Gesicht und drehte den Kopf auf die Seite. »Schei-ße ...« Auf dem Boden vor ihm stand in Reichweite, auf einem improvisierten Nachttisch aus Asterix-Heften, zwei Büchern von Franz Kafka und einem dicken Modemagazin, eine Wasserflasche.
Bevor er danach greifen konnte, um seine brennende Kehle zu löschen, musste er die Arme erst einmal aus dem Schlafsack befreien.
Becken und Schulter bewegten sich dabei geschunden über die dünne Matratze; seine Knochen spürten jede einzelne Latte der Holzpaletten darunter. Mit Mühe bekam er den Deckel einhändig abgeschraubt und leerte den Liter Mineralwasser ohne abzusetzen.
Außer Atem ließ er die leere Flasche kraftlos fallen. Sie klirrte über den Rand des Schlaflagers, rollte über den alten Teppich und knirschend weiter über den Betonboden, bis sie an einem merkwürdigen Konstrukt zum Halten kam. An einem verbeulten Heizpilz war eine große Staffelei montiert. An ihr hingen, zum Trocknen aufhängt, Azurs Sachen.
Kraftlos ließ er sich wieder auf den Rücken rollen, den Arm schützend vor den Augen, gegen diese prasselnden weißblauen Blitze, die von den Wänden reflektiert wurden. »Wo ... bin ich?« Selbst das Schlucken tat ihm weh. »Bin ich ... tot?« Alles drehte sich in seinem Kopf.
»Ja, du bist tot. Willkommen im Reich der Hölle. Ihre Eintrittskarte bitte ...«, schwebte plötzlich eine Männerstimme über Azur.
Immer noch orientierungslos ließ er seinen Arm von der Stirn rutschen.
»Bist du Gott?«
»Ja, du bekloppter Einfallspinsel! Ab heute bin ich das für dich. Wäre zumindest nicht unangemessen, nachdem ich dir den Arsch gerettet habe, Kiro. Willkommen in der KuAk.«
Vor dem Hintergrund des weißen Neonlichts konnte Azur bloß eine schwarze Silhouette erkennen. Erst als deren Besitzer durch einen tiefen Atemzug die selbstgedrehte Zigarette hell aufglimmen ließ, erkannte er das Gesicht. »KuAk? Andro? Bist du das?«
»Nein, ich bin Gott. Gott in der Hölle. Hatten wir doch grade geklärt, Bruderherz.« Dann lachte er Kiro den Rauch ins Gesicht.
Marihuana aus eigenem Anbau – Marke: „Chillin' Panic".
»Du bist hier in der Akademie. Du hattest einen Unfall. Nichts gebrochen oder so. Bis auf eine Menge Kratzer habt ihr's erstaunlich heil überstanden. Hast dir ja Bombenwetter ausgesucht, um mit deiner Kirsche 'ne Spritztour zu machen. Eure Karre ist übrigens Schrott.
Habt echt Schwein gehabt, dass ich euren Crash gehört hab. Ist nämlich sonst keiner mehr hier, bei dem Sturm da draußen. Konnte euch grade noch rausziehen, bevor ihr abgesoffen wärt. Wo hast du das Teil denn geklaut?«
Der Erwachte richtete sich auf, wobei er fast mit dem Kopf seines Bruders zusammenstieß. »Wo ist sie? Geht es ihr gut?«
»Die Kleine wird immer bei dir sein ...«
»Was?« Panisch griff er seinen Bruder am ausgeleierten Kragen der von Brandflecken gesprenkelten Jacke. Gleichzeitig erkannte er zwischen seinen eigenen aufgehängten Klamotten jetzt auch das Schaf auf dem schmutzigen weißen Pullover, dahinter, in Pink, Nekos BH und Höschen. »Was ist passiert?!«
»Hey, immer mit der Ruhe. Lass mich ausreden und erwürg mich nicht! Es geht ihr gut. Ziemlich gut sogar, möchte ich meinen.«
Mit einem Nicken deutete Andro an seinem Bruder herab.
»Sie war zwischendurch wach und hat gemurmelt, dass sie ›immer bei dir sein wird‹.« Er öffnete vorsichtig den Reißverschluss des Schlafsacks. Zum Vorschein kam Neko, die mit Daumen im Mund und in Embryonalhaltung am Bauch seines jüngeren Bruders schlief.
Peinlich berührt zog Azur die Öffnung des Schlafsacks schnell wieder zu.
Jetzt spürte er ihre seichte Atmung an Bauch und Unterleib.
»Ich sag doch, ihr geht's mehr als gut. Kaum hatte ich euch nackig gemacht, war sie nicht mehr von dir zu trennen. Als hättet ihr zwei Magnete verschluckt. Keine Panik. Ich hab ihr schon nichts weggeguckt. Sagen wir, nicht viel ...« Grinsend nahm er noch einen tiefen Zug vom Joint. »Eure Klamotten dürften ja inzwischen locker trocken sein.
Sind allerding ziemlich verschlammt. Sorry, bin ja keine Reinigung –.
Willst du mit deiner Perle noch 'ne Runde schnackseln? Oder willst du mir mal erzählen, was euch hertreibt?«
»Es ist nicht so, wie du denkst.« Schnell rückte er, soweit es ging, auf Abstand zu Nekos warmer Haut.
»Was denke ich denn? Ich denke, du bekommst grad wenigstens wieder ordentlich Farbe. Hier, nimm einen Zug, gegen die Kopfschmerzen.«
Azur schälte sich angestrengt vorsichtig aus dem Schlafsack.
»Gibst du mir meine Sachen? – Ich glaube, wir müssen uns ganz dringend unterhalten. – Wie lange war ich eigentlich weggetreten?«
»Es ist zweiundzwanzig Uhr. Rechne es dir aus.«
»Verdammt! – Du ahnst nicht, was mir in den letzten Tagen alles passiert ist.«
»Lass mich raten: Weltuntergang, Genesis und Bitch Licentia ... korrekt?«
(T -35h:40m:00s)
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